Über meine emotionale Affäre mit einem verheirateten Mann


Fremdverliebtheit ist mir in meinem bisher kurzen Leben (momentan bin ich 34 Jahre alt) schon einige Male begegnet. Ich erlebte es das erste Mal mit 17 und das letzte Mal in meiner letzten Beziehung. „Wieso immer ich? Und wieso kommen einige Menschen mit jahrelang-beständigen Beziehungen durch's Leben und ich verliebe mich immer wieder fremd?“ grübelte ich verzweifelt vor mich hin. In meiner letzten Beziehung verliebte ich mich in jemanden, der so gar nicht dem Klischee entspricht, in das ich mich sonst immer verliebt hatte. 

Der Klischee-Typ, der meine Sehnsüchte triggert, ist normalerweise alternativ und trägt längere Haare. Er hört Indie-Musik, raucht vielleicht sogar und trinkt gern Bier. Er ist weltgewandt und eloquent, ich kann mit ihm in eine Art von Tiefgründigkeit abtauchen, in die nicht jeder Zugang hat. Wir haben eine Meta-Ebene und verschanzen uns dort. Schließlich zelebrieren wir dann gemeinsam die Glückseligkeit von körperlicher Intimität. 

Andi (ich nutze hier bewusst ein Pseudonym) war total anders. Da er mehrere Jahre mein Arbeitskollege war, dauerte es anfänglich etwas länger, bis ich begann, ihn auf eine andere Art wahrzunehmen. Eines Tages trafen sich unsere Blicke im Büro und er hatte so ein Schimmern in seinen Augen, das mich neugierig machte. Monate später musste ich feststellen, dass sich hinter diesem Blick nur ein ungestilltes sexuelles Verlangen verbarg und keine tiefgründige Sehnsucht nach emotionaler Liebe, welche ich in meiner Beziehung schon länger vermisste. 

Er war kontrolliert und so gar nicht ausgelassen, fast schon langweilig. Er entsprach nicht meinem Klischee. Ich würde ihn eher als rationalen Typen beschreiben. Sein Bürotisch war nie dekoriert und immer sauber und aufgeräumt. Er hielt nicht viel von tiefgründigen Gesprächen, sondern war eher ein Meister des Small Talks. Am Liebsten sprach er über Essen, Sport oder Serien. Sein Kleidungsstil war eher schick, denn er achtete besonders stark auf sein Äußeres. Er war sehr stilvoll - trug fast immer ein Hemd und dazu eine Stoff- oder Jeanshose. Aufgrund seiner großen Statur liefen seine Hosen auf Hochwasser, wenn er saß. Dann kamen seine bunten Socken zum Vorschein, die er sich zulegte, weil er sie so nach dem Waschen leichter wiederfinden würde und somit schneller zusammenlegen könnte. Seine rotblonden Haare kämmte er jeden Tag seitlich nach hinten. Er schien alle vier Wochen zum Frisör zu gehen, denn seine Haare hatten komischerweise immer dieselbe Länge. Sein Markenzeichen war für mich seine Bille, sie passte zu ihm – ohne Brille sah er merkwürdig aus. Es schien manchmal so, als hätte man ihm diese Brille ins Gesicht gemeißelt. Er lebte straight edge, extrem sportlich, vegetarisch und ohne Alkohol und Zigaretten. Wir tänzelten monatelang umeinander herum, flirteten miteinander, gaben uns Komplimente und schrieben sogar per Skype auf dem Arbeitscomputer hin und her. 

Ich wusste ja, dass er verheiratet war und mir war auch klar, dass eine Beziehung quasi unmöglich sein würde. Trotzdem war es wie eine Sucht, ihm immer wieder zu schreiben, mit ihm zu flirten und von ihm Aufmerksamkeit zu bekommen. Er nahm mich als Frau wahr, war irgendwie lüstern und charmant zugleich. Das reichte damals schon, damit ich ihm chancenlos verfiel. 

Gute Neuigkeiten: Ich bin momentan näher denn je an der Lösung des Problems: Mangelnde Liebe stärkte meinen Drang, das Loch der verlorenen Gefühle zu stopfen. Die Liebe, die ich mir selbst so lange nicht geben konnte suchte ich krampfhaft in anderen Menschen, nämlich in den Männern, in die ich mich verliebte. Auch Andi war für mich ein vermeintlicher Rettungsanker für mein Gefühl von Liebe, das ich während meiner langen Beziehung verloren hatte. Leider verlor ich auch meine Selbstachtung und mein Selbstwertgefühl. Ich interpretierte in jede seiner Aktionen tausende von Kleinigkeiten hinein, wurde paranoid und eifersüchtig. Eigentlich war es keine Eifersucht, sondern viel mehr eine Sucht nach Bestätigung. 

Andi war in einer anderen Lage als ich, das verstand ich erst später. Ihm fehlte nur der Sex in seiner langen Ehe und über kleine Büro-Phantasien holte er sich einen Funken seiner sexuellen Selbstbestimmung zurück. Leider phantasierte er nicht nur von mir, sondern baggerte auch an anderen Frauen im Büro herum. Er belästigte sie sogar ziemlich offensichtlich. Ich schaute dabei zu und wünschte mir gleichzeitig seine Nähe. Nie hat auch nur eine sich beschwert - ich rechtfertige das damit, dass er ziemlich attraktiv ist. Vielleicht kommt so jemand damit eher durch als ein weniger attraktiver Mann. 

Ich spürte jeden Tag seine Angst, dass seine Flirtereien eines Tages an Licht kommen würden und er als jemand dastehen würde, der Frauen im Büro sexuell belästigt. Ich merkte, dass er seine Beziehung nie aufgeben würde, auch wenn er sexuell frustriert war und nach Bestätigung lechzte. Ich wusste sogar, dass er seine Frau auf eine gewisse verschrobene Art und Weise liebte. Trotzdem schaffte ich es nicht, mich aus diesem Sog loszureißen. 



Er ist eine arme Wurst, wie ich heute erkennen kann.  Wir sprachen nie über "die Sache", weil er es immer schaffte, dem Thema auszuweichen. Irgendwie wusste ich auch, dass ein solches Gespräch Konsequenzen nach sich ziehen würde und dafür war ich damals noch nicht bereit. Mit seiner Frau ist er natürlich immer noch zusammen. Zwischen uns gab es nie eine Form von physischer Intimität, z.B. einen Kuss oder gar Sex– Gott sei Dank. Ich wünsche ihm, dass er glücklich ist. 

Die Fremdverliebtheit spiegelte mir sehr deutlich das, was ich mir eigentlich hätte geben müssen: Selbstliebe, Aufmerksamkeit, Anerkennung, Selbstachtung. Meine Bedürfnisse sind lange zu kurz gekommen. Mit Mitgefühl blicke ich nun zurück auf mein damaliges Ich. Ich hatte eine Art Schleier um mich herum gebildet und sah nicht klar. 

Mehr denn je achte ich heute darauf, dass es mir an Selbstliebe nie wieder so sehr fehlt. Ich achte auf die Worte, die ich an mich selbst richte, schenke mir Mitgefühl statt mich mitVorwürfen zu bombardieren und nehme mich so an, wie ich bin. Ich gebe mich in punkto Liebe nicht mehr mit Halbherzigkeiten zufrieden, denn ich habe mehr verdient. Mehr als eine emotionale Affäre mit einem verheirateten Mann aufgrund von fehlender Liebe zu mir selbst und mehr als eine Beziehung, in der ich mich selbst verliere. 

Meine Beziehung endete 2 Jahre nach dem Start dieser emotionalen Affäre, ich merkte, dass Andi nicht das war, was ich wollte, sondern, dass er nur irgend ein Jemand war, der das in mir sah, was mein Exfreund lange nicht mehr in mir gesehen hatte. Er projizierte leidenschaftlichen Sex in mich und ich Anerkennung und "endlich wieder gesehen werden" in ihn. Wir halfen uns zu jener Zeit gegenseitig, im Alltag an der Seite unserer Partner nicht komplett zu verschwinden. 

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