Ich bin nicht genug

Früher war es die Ehefrau, die ihren Mann auf der Straße zurecht rüttelte. Dialoge wie: „Horst, kannst du bitte mal aufhören, der Frau so hinterherzuschauen?“ - „Aber Gisela, die hatte so ein schönes Kleid an, man wird ja wohl noch gucken dürfen.“ sehen heute anders aus: „Wieso folgst und likst du diesen Fitness Bloggerinnen?“ oder „Du likst ständig Fotos von deiner Ex, was soll das?“. Auch Frauen kommen häufiger in den Modus, charismatischen Schauspielern oder sogar dem Yoga-Trainer aus dem Fitness Center zu folgen und dessen Fotos zu liken.

Was einst Angaffen mit taxierenden Blicken war, äußert sich heute im Folgen und Liken von Usern und Fotos. Nirgendwo anders kriegt man so deutlich zu spüren, dass der eigene Partner auch andere Menschen attraktiv findet, als auf Plattformen wie Instagram. „Das ist doch menschlich“ - will man meinen. 42% aller Frauen finden es laut einer nicht repräsentativen Umfrage schlecht, wenn ihr Freund leicht bekleidete Frauen im Internet öffentlich likt. Die meisten schämen sich oder fühlen sich minderwertig gegenüber den Frauen, Models, Fitness-Bloggerinnen etc. Woran mag das liegen? Ist doch schließlich nur ein Foto und wozu sind solche Plattformen denn sonst da? Die leben ja schließlich davon.

Ist es das mangelnde Selbstwertgefühl, dass uns ein mulmiges Gefühl verschafft oder vertrauen wir unserem Partner einfach nicht genug? Jein. 

Klar, es gibt gibt genug Frauen und Männer, die sich bewusst freizügig präsentieren, um die gewünschte Aufmerksamkeit zu bekommen, ein Geben und Nehmen möchte man meinen. Was aber, wenn die Freundin oder der Freund dies als Demütigung empfindet? „Du findest andere Frauen anziehend und jeder kann es sehen. Wenn du dir einen Porno anguckst, teilst du den doch auch nicht mit deinen Freunden.“ bemängelt Anja an ihrem Partner Simon. Es geht also weniger um den Fakt, dass andere Menschen auch als anziehend empfunden werden, sondern eher darum, dass dies auf einem öffentlichen Platz, bspw. Instagram, passiert.

An dem Punkt, wo es die Gefühle des Partners oder der Partnerin verletzt, sollte man sich anfangen zu fragen, ob es denn wirklich Not tut, ein weiteres Like unter das hundertste Foto des hundertsten Bikini-Models zu setzen. Wir liken alles freiwillig und keiner zwingt uns zur Nutzung dieser Plattformen. Genauso freiwillig gehen wir aber auch eine Beziehung und eine damit einhergehende Verantwortung ein, die Gefühle unseres Partners/Partnerin zu respektieren.

Was bedeutet dieses Like eigentlich? Ich bekunde, dass mir das Foto gefällt, ja. Die Person am anderen Ende sieht dies wohlmöglich... oder auch nicht. "Ach herrje, 5.478 Likes. Und der Peter von nebenan, der hat auch mein Foto gelikt. Das ist ja süß." Denkt jemand wirklich so? Und was geht eigentlich in der likenden Person vor? "Hmmm, der Leo DiCaprio sieht mit seinem Vollbart echt hot aus. Ich like mal das neue Foto, vielleicht sieht er das ja und freut sich".

Nicht, dass ich nicht auch schon Tausende von Fotos, vornehmlich von Arbeitskollegen*innen und Freunden*innen, gelikt habe, aber meist eher aus dem Aspekt heraus Anerkennung und Aufmerksamkeit zu verschenken. Selber irgendwann Likes zurück zu bekommen wäre natürlich auch dufte. Das ist doch absurd. Leben wir bereits in einer Welt, deren Währung kleine Herzchen und Emojis sind? 

In einer Umgebung, die uns immer mehr dahin konditioniert, uns mit vermeintlich perfekten Menschen zu vergleichen, sollten wir uns mal fragen, was wir unseren Partnern damit antun, wenn wir diese unerreichbaren Personen vor den Augen unseres Partners öffentlich liken. Ich spreche nicht davon, dass man sich nicht mehr Fotos angucken darf, sondern davon, andere Menschen öffentlich als attraktiv zu bekunden. Das tun wir nämlich, wenn wir den Daumen hoch oder das Herz vergeben - und das oft ohne darüber nachzudenken. 

Nie waren Vergleiche mit attraktiven Menschen so alltäglich wie heute. Schöner, schlanker, perfekter.  Hier noch ein paar Bauchmuskeln und da noch ein paar Strähnen und dann bin ich perfekt. Ach nein, der Lippenstift, den brauche ich auch und die Schuhe und das Kleid...

Was passiert dadurch? Wir denken, wir wären nicht genug. Dass wir trotz allem Selbstliebe praktizieren sollten und uns unser Partner nicht gleich betrügt, weil er mal ein Foto likt, steht außer Frage, aber denkt einfach mal nach, wenn ihr solche Fotos likt. Warum tut ihr das? Was würde euer Partner / eure Partnerin denken, wenn er oder sie das sieht? Wie würde es euch gehen, wenn die Situation umgekehrt wäre? Ja, es ist nur ein harmloser Klick, aber genau deshalb könnt ihr es euch doch noch mal auch genau überlegen, ob dieser Klick sinnvoll ist. Wenn ihr jedoch wisst, dass es eurem Partner /eurer Partnerin nichts ausmacht, dann sage auch ich: Feuer frei.

Leute, ich möchte Bewusstsein schaffen :-) <3